29. Juni 2016
(Dieser Bericht wurde von Thomas W übersetzt. Vielen Dank!!)
Ein Intermezzo von der vordersten Front dieser Reise. Wir sind jetzt seit einer Woche in Athen und werden mindestens eine weitere Woche bleiben. Wir erfreuen uns bester Gesundheit wie auch unsere Mopeds, obwohl man es ihnen nicht mehr so ansieht: Dutzende Athener Tauben und streng riechende Streunerkatzen haben es auf sie abgesehen.
Ich werde über die Fahrt nach Athen noch berichten, aber das Nachfolgende wollte ich euch nicht vorenthalten. Einer der Gründe für die noch spärlichen Einträge auf diesem Blog ist, dass wir hinter den Kulissen noch arbeiten, damit die Reise überhaupt gelingen kann. Wie bereits erwähnt, haben wir zwar viel Zeit, jedoch auch nicht unbeschränkt. Dies macht die Fahrt östlich von Europa zu einer Herausforderung. Wenn ihr denkt, unsere Reise sei einfach wie lange Ferien, wo wir einfach weiterfahren und uns ausruhen, wenn immer uns danach ist, dann liegt ihr falsch. Dies ist nicht Südamerika. Von Europa aus eine südliche Route durch Asien in Angriff zu nehmen, ist kompliziert wie in ‚komplexer als nötig‘. Lasst es mich erklären. Falls Ihr rechtzeitig zur Arbeit kommen wollt, geht jetzt und lest später weiter.
Unsere Wunschroute verläuft durch folgende Länder:
- Schweiz bis Griechenland, pardon Tzatzikistan!
- Türkei
-
Georgien und Armenien - Iran*
- Turkmenistan*
- Usbekistan*
- Kirgisistan*
-
Tadschikistan - China*
- Nepal
- Indien*
- Myanmar*
- den Rest von Südostasien
Für die mit einem Stern gekennzeichneten Staaten muss ein Visum in der Botschaft oder einem Konsulat beantragt werden (gilt für Reisende mit Niederländischer Staatsangehörigkeit). Bis zur Türkei also alles im grünen Bereich, nicht? Nicht ganz, man muss etwas weiter planen. Viel, viel weiter.
Hier ist grob unsere Route:
Lasst mich alle Fakten, Anforderungen, Herausforderungen, Unsicherheiten und Entscheidungen zusammenfassen. Holt jedoch besser zuerst noch eine Tasse Kaffee.
Einige Gemeinsamkeiten vorweg:
- Nicht alle Staaten unterhalten Botschaften in allen anderen Ländern.
- Alle Botschaften scheinen leicht abweichende Regeln zur Visumserteilung zu pflegen. Zum Beispiel welche Dokumente man braucht, wie man den Antrag stellt, ob man seinen Reisepass abgeben muss oder nicht, Liquiditäts- und Versicherungsnachweise, Bibliotheksausweis…
- Viele Botschaften erteilen ein Visum nur, wenn ein Einladungsschreiben (Letter Of Invitation, LOI) vorgewiesen werden kann. Diese werden oft durch ein zertifiziertes Reiseunternehmen in diesem Land ausgestellt.
- Visa können abhängig von eurer Nationalität auch ohne LOIs erhalten werden, aber die Verarbeitung auf der Botschaft dauert gewöhnlich länger und die Gültigkeitsdauer der Visa könnte verkürzt sein. In anderen Worten: LOIs geben mehr Planungsspielraum, kosten jedoch etwas.
- Die Gültigkeit des Visums (visa validity) gibt den Zeitraum an, in welchem die Einreise gewährt wird. Nach Ablauf dieser Gültigkeit verfällt das Visum und die Einreise wird normalerweise verweigert.
- Die Gültigkeitsdauer des Visums (visa duration) entspricht der erlaubten Aufenthaltsdauer im Reiseland.
Einige weitere Besonderheiten:
- Unsere Touristenvisa für den Iran haben eine Gültigkeit von 30 Tagen und eine Aufenthaltsdauer von ebenfalls 30 Tagen. D.h. sobald die Visa ausgestellt werden, haben wir 30 Tage Zeit um den Iran zu erreichen. Wir verwendeten dazu ein LOI von StanTours, um die Visa in Athen einzuholen. Aus Zeitplanungssicht hätten wir die Iranischen Visa lieber in Ankara eingeholt. Es schien jedoch sicherer, die Visa in Athen zu beantragen, da Türkische Grossstädte in diesen Tagen das Ziel extremistischer Gewalt sind (siehe Shiiten/Sunniten-Konflikte).
- Turkmenistan ohne gebuchte Tour inkl. eines kostspieligen Führers/Aufpassers im Nacken zu bereisen, hat zur Folge, dass wir nur ein Transitvisum bekommen können. Dies ist eine Bewilligung zur Durchquerung des Landes, normalerweise in ca. 5 Tagen. Einmal ausgestellt, können die Visadaten nicht mehr geändert werden.
- Die Bearbeitungszeit für ein Transitvisum durch Turkmenistan beträgt 10-14 Tage ab Antragsstellung. Dies bedeutet, dass man festsitzt oder zumindest später zur Botschaft zurückkehren muss, um das Visum abzuholen.
- Turkmenistan hat eine Botschaft in der Schweiz. Da wir bis zur Abreise nicht wussten, wann genau wir dieses Land durchqueren würden, beschlossen wir die Transitvisa en route einzuholen.
- Die Anforderungen für das turkmenische Transitvisum verlangen, dass der Antragsteller bereits im Besitz der Visa für Iran und Usbekistan muss (für unsere Route).
- Turkmenistan hat auf unserer Route seit Verlassen der Schweiz keine Botschaften, erst wieder in Ankara.
- Daher hatten wir uns entschieden, LOIs für Usbekistan und Iran zu beantragen, während wir noch in Kroatien weilten. Diese sollten damit vorliegen, sobald wir Athen erreichten, damit wir dort die Visa in Empfang nehmen können. Um die Turkmenischen Visa sollten wir uns dann in Ankara kümmern.
- Am 27. Juni konnten wir die Usbekischen Visa abholen. (Ein Punkt abgehakt!)
- Wegen der beschränkten Gültigkeit der Iranischen Visa von einem Monat nach Ausstellungsdatum haben wir grundsätzlich einen Monat Zeit, die Türkei zu durchqueren. Andernfalls würden die Iranischen Visa verfallen. Trotzdem müssen wir die 10-14 Tage Bearbeitungszeit für die Turkmenischen Visa in Ankara miteinbeziehen. Somit verbleiben uns zwei Wochen für die Durchquerung der Türkei (mind. 1900 Kilometer)
- Wir sollten nicht zu früh in den Iran einreisen, da unsere Iranischen Visa immer noch gültig sein müssen, wenn wir den Transit durch Turkmenistan antreten.
- Um weniger Zeit in Ankara zu verlieren, verfolgen wir die Option, eine Visumsvollmacht von der Turkmenischen Botschaft in Genf zu erhalten. Dies würde uns erlauben, die Visa an der Iranisch-Turkmenischen Grenze zu lösen.
- Ihr braucht mehr Kaffee? Nur zu.
Und es geht weiter:
- Die Sicherheitslage im Osten Irans, Afghanistan und dem grössten Teil vom Westen Pakistans ist zu unsicher, dass wir dieses Gebiet gänzlich meiden werden. Nennt uns Weicheier, aber ohne die Reise durch dieses Gebiet wird es noch genug Abenteuer geben.
- Um Nepal und später Südostasien zu erreichen, ist also eine Streckenwahl durch die Stan-Staaten so unvermeidbar wie interessant und traumhaft.
- Wenn wir die Strecke komplett über Land absolvieren wollen, müssen wir irgendwann Chinesischen Boden befahren. China ist gross und für uns irgendwie ‚im Weg‘.
- Die Grenzübergänge zwischen Indien und China sind seit dem Indisch-Chinesischen Grenzkrieg im Jahr 1962 geschlossen.
- Nepal wurde im Frühling 2015 von einem heftigen Erdbeben erschüttert.
- Es existiert ein Grenzübergang zwischen China und Nepal bei Zhangmu/Kodari. Dieser ist seit dem Erdbeben geschlossen. Es gibt Prognosen für eine Wiedereröffnung im März 2016, April, Mai und Juni… Keine einzige Reiseorganisation oder Behörde kann den genauen Zeitpunkt der Wiedereröffnung dieses Übergangs nennen.
- Es gibt Gerüchte, dass ein alternativer Grenzübergang bei Gyrirong, westlich von Kodari, geöffnet sei.
- Eine „offene Grenze“ kann im Bürokratensprache ganz verschiedene Färbungen haben: 1) Lokalverkehr darf die Grenze passieren. 2) Die Grenze ist für den internationalen Tourismus und Handel geöffnet. 3) Die Grenze ist für Ausländer mit deren eigenen Fahrzeugen geöffnet. Wir brauchen Letzteres und im Moment, wo ich dies schreibe, ist es ungewiss ob wir dieses Jahr den alternativen Grenzübergang bei Gyrirong benützen können weil von den Behörden für diese neue Situation neue Bürokratie eingeführt werden müsste.
- Das Fahren eines eigenen Fahrzeugs ist in China nicht so einfach. Abhängig davon, wie viele Provinzen betroffen sind, dauert es länger die Chinesische Fahrerlaubnis, die Chinesische Fahrzeugregistrierung, die Reiseerlaubnis für eine festgelegte Strecke und möglicherweise eine zusätzliche Erlaubnis für das autonome Gebiet Tibet zu organisieren. Obendrein ist ein Führer/Aufpasser obligatorisch, welcher entlang der definierten Strecke uns begleitet. All dies macht den Chinesischen Abschnitt sehr kostspielig. Pro Person und Fahrzeug fallen hohe Fixkosten an, dazu variable Kosten wie der Führer. Letzterer kann zwischen 100 und 200 US-Dollar pro Tag verlangen. Zudem sind wir auch noch für Kost und Logis des Fremdenführers verantwortlich. Ich muss McDonald’s im Chinesisch-Wörterbuch nachschauen.
- Wir möchten dem Winter im Himalaya ausweichen (wir haben unsere Snowboards vergessen) und sollten ihn daher spätestens im Oktober überquert haben. Je früher, desto besser, denn zusammen mit dem Führer im Schnee festzustecken und gerettet werden zu müssen, stellt eine ernstes Problem fürs Bankkonto dar.
- Weil die bürokratischen Hürden höher als der Himalaya selbst sind, brauchen selbst spezialisierte Reiseorganisationen ungefähr 70 Tage, um alles Notwendige mit den Behörden zu arrangieren. Das bedeutet, dass wenn wir den dreiwöchigen Transit durch die westlichsten Chinesischen Provinzen Xinjiang und Tibet Ende September antreten, die Entscheidung Mitte Juli getroffen werden muss. Wir werden dann in Ankara sein.
- Da die Nepalesische Grenze nicht ‚offen‘ (siehe Abstufungen oben) ist, bleibt es ungewiss, ob wir eine Transiterlaubnis durch China von Kirgisistan nach Nepal erhalten. Wir müssen uns jedoch bald entscheiden.
- Eine weitere Option wäre, von Kirgisistan nach Laos zu fahren, was jedoch noch teurer wäre.
- Für gewöhnlich werden die Transitkosten mit einer Gruppe geteilt. Dies heisst jedoch auch, dass eine feste Gruppe mit einer festen Anzahl registrierter Fahrzeuge entlang einer fixen Route reist und das Land auch als Ganzes verlassen muss. Falls die Gruppe (Personen und Fahrzeuge) nicht vollständig ist, ist die Einreiseerlaubnis nicht gültig und der Transit kann offiziell nicht stattfinden.
- Obwohl Reisen in einer Gruppe viel günstiger und unterhaltsamer wäre, als den Aufpasser alleine bei Laune zu halten, gibt es grosse Risiken. Die Gruppenmitglieder müssten vermutlich alle zuerst eine lange Reise von Europa nach China meistern. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass etwas schief geht (technische Defekte, Unfälle und Krankheiten). So entschieden wir uns schweren Herzens, unsere eigene Zweiergruppe zu bilden. Dies hält uns unabhängig von Anderen und umgekehrt.
- Oh, bei dir ist der Kaffee schon wieder alle. Zum Glück hast du eine grosse Kanne zubereitet.
Was ich vergessen habe zu erwähnen:
- Mit den ersten Gerüchten der Chinesisch-Nepalesischen Grenzöffnung dieses Jahr haben wir unseren ursprünglichen Plan verworfen, China von Kirgisistan nach Pakistan zu passieren. Tibet ist sicherer, vermutlich so eindrücklich wie der Karakorum Highway durch Pakistan (stimmt das?) und die Visa für China sind viel einfacher zu bekommen.
- Mit der aktuellen Situation an der nepalesischen Grenze und der Frist für den Transit nach Nepal haben wir indes einen parallelen Plan begonnen um den China-Transit nach Pakistan weiterzuverfolgen. So können wir Nepal über Inden erreichen.
Hier ist grob unsere Route:
- Visa für Pakistan sind schwierig zu bekommen: Umfangreiche Visumantragsformulare, LOIs, womöglich lange Bearbeitungszeiten für Touristenvisa und am wichtigsten: die Anträge müssen im Land des eigenen Wohnsitzes gestellt werden. Der letzte Punkt scheint eine unumstössliche Regel unter allen Pakistanischen Botschaften zu sein.
- Dies würde bedeuten, dass wir die Pakistanischen Visa in der Schweiz beantragen müssten. Aber wir sind ja bereits in Athen. Und es könnte uns in der Schweiz viel Zeit kosten. Und würde die Botschaft unsere Pässe während dieser Zeit einbehalten? Selbst wenn wir für den Visaantrag dorthin gingen, jeder Tag Verzögerung ist ein Tag weniger in der Türkei, wo wir nicht gerade reichlich Zeit haben wegen der Gültigkeit der Iran-Visa und der potentiellen 2-Wochen Wartezeit wegen des Turkmenischen Transit-Visums. Das Pakistan-Visum steht am Anfang eines Notstandsplans, welcher sich erübrigen könnte, falls die Grenze zwischen China und Nepal rechtzeitig offiziell für Ausländer mit eigenen Fahrzeugen öffnen würde. Wann wird dies geschehen und bleibt genügend Zeit, um die Route durch China festzulegen? Und wo können wir die Visa für China und Indien abholen? Die Koffein-Überdosis hilft jetzt auch nicht wirklich.
Wir sind offenbar an das schwierigste Visa-Puzzle der Welt für Überlandreisen gelangt. Diese ganze Herausforderung riecht nach Ingenieursarbeit. Ich glaube es ist in der Tat einfacher, Dutzende FPGA-interne Taktdomänen unsicherheitsfrei zu synchronisieren (ehrlich).
Und welche Rolle spielt Kirgisistan in dieser Geschichte? Die Kirgisische Visa-Politik ist grossartig (für EU-Bürger einschliesslich Briten): 60 Tage visafrei! Das Tourismusgremium wartet mit dem Leitspruch „so viel zu entdecken“ auf. Ich habe gehört, dass sie bald den Fahrzeugnummernschild-Slogan „Zentralasiens bequemste Wartezone“ bringen werden.
Hätten wir uns mit all dem bereits zu Hause befassen und abhandeln können? Ja, aber wir wären kläglich gescheitert. Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, die Visa für eine Überlandreise so lange im Voraus zu planen, unabhängig von einschränkenden Visa-Gültigkeiten. Sobald sich am Zeitplan etwas ändert, aus welchen Gründen da draussen auch immer, wäre die Anspannung ungemein wenn das sorgfältig aufgebaute Visa-Kartenhaus einstürzt. Letzteres ist übrigens immer noch nicht ausgeschlossen.
Nach dieser ganzen Geschichte mag mach einer denken, dass diese Route fast unmöglich zu bewältigen ist. Trotzdem sehen wir ein Licht am Ende des Tunnels. Es ist schliesslich Ingenieurskunst.
Mehr darüber zu einem späteren Zeitpunkt.