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(2007) Das Zehn-Kilometer Abenteuer – roadtales.ch

(2007) Das Zehn-Kilometer Abenteuer

27. März 2007

Es ist null Grad draussen, und dazu gibt’s zehn Zentimeter Schnee. Heute muss wohl der perfekte Tag sein um sein Motorrad beim Verkehrsamt vorzuführen. Die Maschine ist nun sechs Jahre alt, und die Prüfer möchten mal sehen ob da sicherheitsmässig alles noch stimmt. Weil ich nicht glaube, dass ich sie telefonisch überreden könnte, werde ich die Einladung, die sie mir vor zwei Monaten zugeschickt haben, annehmen.

Die Strasse sieht gar nicht mal so schlecht aus, und ich glaube, dass die Schweizer sie fleissig freigeschaufelt haben werden, wann ich später rausfahre. Mein Moped ist in einer Garage an einer Durchfahrtstrasse geparkt. Diese Strasse wird jetzt schon geräumt sein, oder? OK, ich fahre, aber nehme mir vorsichtshalber eine Stunde extra. Wenn’s nicht der Schnee ist, könnte der Stau mir nämlich einen Strich durch die Rechnung machen. Obwohl jeder Fünfjähriger weiss, dass es dumm ist eine Autobahn ohne Umfahrungen direkt in eine Stadt zu leiten, dürfen Fünfjährigen gar nicht abstimmen in dieser direkten Demokratie. Ohne jetzt zu politisch zu werden, ziehe ich mich warm an und gehe raus.

Sie läuft auf Anhieb schön rund, und ich fahre aus der Garage heraus. Draussen begegne ich sofort einen 30 Zentimeter hohen Schneehaufen zwischen mir und der Strasse. Logisch.. die Strasse ist geschaufelt, aber wohin mit dem Schnee? Ich fahre vorsichtig durch den Haufen, und ich bin unterwegs. Es gibt noch ein bisschen Schneematsch auf der Strasse, und ich versuche meine Reifen innerhalb einer der Reifenspuren der Autos zu halten. Genau, Autos eben, weil niemand bei vollem Verstand in diesem Wetter Motorrad fahren würde. Auf jeden Fall nicht für den Spass.

Der Spass fängt aber ein paar Kilometer weiter an, wo ich den ersten langsamfahrenden Verkehr begegne. Normalerweise würde ich an die Fahrzeuge vorbei fahren, aber in diesem Zustand gibt es keinen “Spielraum” für Fehler. Also, Spielraum gibt es genug auf dem Radweg rechts, aber da gibt es auch zufällig eine zentimeterdicke Eisschicht. Nur kein Stress.. ich habe genug Zeit um diesen wunderbaren Stau zu geniessen.

Einige dutzende Meter weiter sehe ich, dass die linke Strassenseite auch ein bisschen zu eisig wird für meinen Geschmack. Als ich später dort wieder stehe, spüre ich, dass der Boden hier nicht gerade griffig ist, wie man das eben von einer anständigen Eisschicht so erwartet.. Nicht gut, gar nicht gut.. Die Eisschicht fängt je fünf Zentimeter links und rechts von meinen Stiefeln an. Es ist Schnee der zu einer kompakten Schicht komprimiert wurde, worauf die Autos jetzt auch mit allen Rädern fahren müssen. Ich stelle mich eine Plakatwerbung vor: “Neu! Jetzt mit Allradschlupf!”. Die Hoffnung, dass die Strasse zwischen den Spuren eisfrei bleibt, ist nicht wirklich eine Beruhigung. Es “braucht” bloss einen längeren “Einradschlupf”, entweder vorne oder hinten, um mich auf die Fresse zu legen. Habe ich schon erwähnt, dass ich kein ABS habe? Was wäre eigentlich der Unterschied zwischen Bremsen mit und ohne ABS auf einer perfekt reibungslosen Eisschicht? ..dass der Fahrer mit ABS nicht weiss, dass er trotzdem auf die Schnauze geht?

Ich bin auf halbem Wege. Das heisst, es ist genau so blödsinnig umzukehren als weiterzumachen. Klar, ich könnte hier das Moped abstellen, mit dem Zug nach Hause fahren, und es später nochmals versuchen, aber es gibt keinen vernünftigen Parkplatz, und der Stau löst sich jetzt immerhin langsam auf. Die Lage bessert sich über die nächsten anderthalb Kilometer als ich in die Stadt fahre. Scheisse, wieder Stau! Und auch wieder Eis auf beiden Seiten der Strasse.. Die Autofahrer gucken mich zurecht komisch an. Ich habe mich an das Anstarren bei Kaltwetterfahrten gewöhnt, und ich würde ihnen auch diesmal zuwinken, wenn ich mich doch nur getraute den Lenker loszulassen..

Spurwechsel! Darüber mache ich mir in allen anderen Wetterlagen kaum Gedanken, aber heute ist ein Spurwechsel ein Matsch-Eis-Matsch-Eis-Matschwechsel. Super. Wenn es als Zugabe noch einige Tramgleise gibt, kannst du dir meinen Vollgenuss wohl vorstellen. Die Trams fahren nicht einmal, obwohl sie 24 Räder haben! Weicheier!

Ah genau, das Verkehrsamt ist da drüben, oben auf dem Hügel, und höher bedeutet kälter! Es sind vielleicht nur 100 Meter, aber heute kann dies den Unterschied zwischen Wasser und Eis bedeuten. Zudem ist diese Strasse offenbar nich wichtig genug um so oft freigeschaufelt zu werden als die Strassen worauf ich bis jetzt unterwegs war. ‚Captain Slow‘, der Spitzname des Top Gear Moderators James May, übernehme ich als ich mit 5 Stundenkilometern herauffahre. Mein Visier habe ich aufgeklappt, damit ich sehe wo ich am besten fahre.. hoffentlich. Wenn ich der anscheinend geduldige Dosenfahrer hinter mir wäre, hätte ich den Motorradfahrer vor mir zutiefst gehasst. An diesem Tag zu fahren, wenn man es so nennen darf, ist nicht die beste Idee, die ich je hatte.

Ich bin fast da. Nur noch an der Kreuzung links abbiegen. Es ist das erste Mal, dass ich mich freue vor einer roten Ampel zu stehen, weil mir das ein bisschen Zeit gibt um die Strasse zu untersuchen und den besten Weg zwischen den Schneehaufen und den Tramgleisen zu finden. “Verdammte Kacke”, sage ich laut sobald ich herausfinde, dass es nicht möglich ist einen direkten Weg zum Verkehrsamt zu finden, ohne durch einen Schneehaufen fahren zu müssen, der so hoch ist wie mein Vorderrad. Es ist wirklich schlimm hier, aber ich würde die Maschine nie im Leben hier abstellen um den Jungs vom Verkehrsamt zu sagen, dass sie es auf der anderen Strassenseite abholen können. Ich bin nun fast den ganzen Weg gefahren, und ich gebe nicht auf bis ich entweder das Moped auf der Prüfbahn abstelle, oder es hier im Schnee versenken lasse, was auch immer zuerst passiert.

Also biege ich nicht an der Kreuzung ab, aber benutze 30 Meter weiter eine Wendeschleife für Busse um auf die andere Seite zu geraten. Es gibt hier grosse Brocken zusammengepressten Schnee, und ich ringe mich buchstäblich zentimeterweise durch, während ich mich darauf konzentriere, in welche Richtung mein Hinterrad diesmal wieder wegrutscht, wenn ich vorsichtig Gas gebe. Es wäre überflüssig zu erwähnen, dass meine Herzfrequenz mindestens zweimal so hoch ist wie beim Dauerglotzen in der angenehm warmen Stube, was ich ganz deutlich am Klopfen in meinen Ohren spüre.

Warum habe ich letzte Woche keine Spikesreifen montieren lassen? Das hätte in diesem Moment wirklich etwas gebracht! Ich weiss, dass meine Sport-Tourenmaschine damit albern aussehen würde, aber nich so blöd wie meine mitleiderregende Versuche diese verdammte Wendeschleife zu meistern. Die Frau eines Freundes hat mich mal “Skifahrer” genannt als sie mich erwischt hat beim Fahren ohne Füsse auf den Fussrasten, wobei es schwieriger ist das Gleichgewicht zu halten. In diesem Moment sind meine Füsse aber die einzige Möglichkeit meinen japanischen Motorschlitten zu balancieren. Während ich wieder vor einer Ampel warte, entscheide ich spontan den Boden auf Griffigkeit zu prüfen. Ich greife zur vorderen Bremse und stosse das Moped langsam an. Hast du deine Maschine mal zehn Zentimeter vorwärts bewegt, nur mit den Eiern? Ich aber schon! Griffigkeitsprüfung abgeschlossen.

Einmal rechts und einen matschigen Hang herunter, und dann stehe ich vor dem Empfang. Es ist fünf nach neun. Die schweizerische Pünklichkeit muss irgendwie auf mich afgefärbt haben, weil das genau die Anfangszeit meines Termins ist! Die Dame in der Kabine schaut mich verwirrt an, als ob sie sich wundert wo nun der Rest meines Autos ist. Bei jedem Wetter, Schatz! Obwohl es saublöd war vor einer Stunde das ganze Abenteuer anzufangen, erfüllt dieser Triumph mich mit einem warmen Gefühl. Es wird wohl etwas länger dauern bevor meine Kupplungshand sich auf dieser Weise auftauen lässt, aber immerhin.

Ich habe es unverletzt bis an die Prüfungsbahn geschafft. Überflüssigerweise sagt der Prüfer mir, dass ich nicht verpflichtet bin, um bei diesem Wetter zur Fahrzeugkontrolle zu kommen. Na, vielen Dank! Mit seinem Kollegen prüft er mein Moped. Die obligatorische kurze Probefahrt, die normalerweise draussen stattfindet, ist heute noch kürzer weil sie im Hause ausgeführt wird. Es bereitet mir Spass, zu sehen wie Herr Wichtel versucht mein Moped aus einer engen Stelle zu manövrieren. Zugleich hoffe ich, dass er es nicht auf den trügerisch griffigen Betonboden fallen lässt. Meine liebe Maschine, mit Stahlflex Bremsleitungen und einem neuen Federbein, besteht die Prüfung glänzend! Hab‘ ich doch gesagt!!

Also, was nun? Nach Hause fahren? Bist du verrückt? Ich glaube, ich habe mein Glück für heute verbraucht, und wahrscheinlich auch einen Grossteil vom Glück der nächsten Wochen. Ich stelle die Maschine an einer trockenen Stelle ab, und fahre mit dem Bus nach Hause. Wenn die Temperatur, wie vorhergesagt, die fünf Grad übersteigt, hole ich sie heute Abend ab. Klar, ich bin ein Versager.. aber ein Versager mit einem glänzenden unbeschädigten Motorrad, und einer coolen Geschichte!